Lutz Friedel *1948
Schaut man auf das gesamte Werk des Malers und Bildhauers Lutz Friedel, so scheinen sich Phasen entspannter Einverständlichkeit mit solchen dunkler Ahnungen abzulösen. Wobei die letzteren überwiegen, denn drohendes Unheil war schon früher ein bestimmendes Thema in Friedels Werk. Die Anfänge seiner malerischen Arbeit lagen in Leipzig. Die späten siebziger Jahre erzeugten damals einen Strom von Bildern, die in metaphorischer und symbolischer Verschlüsselung über die alltäglichen Enttäuschungen, die verlorenen Hoffnungen, auch den Widerwillen Nachricht gaben, die eine jüngere Künstlergeneration im Osten angesichts ihrer Wirklichkeit empfanden. Friedel zählte zu ihnen, eine Zeitlang hatte er an den schonungslosen Raubzügen teil, die seine Generation gegen die eigene Physis unternahm, um die Psyche zu schützen und die Kraft zu eigenem zu gewinnen durch ein intensives Leben. Die Bilder jener Jahre hatten durchaus literarische Ambitionen, ohne eigentlich erzählerisch zu sein. Sie versicherten sich einer zwar weithin verständlichen, aber der offiziellen Öffentlichkeit gegenüber doch verschlüsselten Sprachlichkeit. Sie handelten von Untergängen und Fluchtimpulsen, von Gewittern, von Bedrohung, Selbstverletzung, gehinderter Bewegung, Starre und Selbstbezüglichkeit. Lange bevor die tragische Titanic-Geschichte im Film zum Pop-Mythos wurde, hatte Friedel sie in einem Triptychon existentiell vergegenwärtigt. Seine Gewitterbilder versprachen keine kommenden Sommerhimmel, seine Rolltreppen führten nirgendwo hin und das Personal seiner kulturellen und kunsthistorischen Allegorien starrte unbeteiligt aus leeren Augen.
Lutz Friedel ging 1984 nach Frankfurt am Main, bald darauf nach Westberlin. Der mythologisch grundierte Symbolismus der frühen Jahre hatte im neuen Umfeld seine Begründungen verloren. Mit dem Ausbruch ins Offene wurden andere Wegweisungen wichtig. Bewusst stellte Friedel seine Malerei nun in einen Zusammenhang mit der europäischen Kultur und „erlernte“ das Sehen ohne Prothese. Es war vielleicht weniger ein Gewinn an Autonomie als vielmehr die Erfahrung einer Bildlichkeit, die den sozialen Blick gegen den Augensinn eintauschte, ohne dass die Bewusstheit für die assoziativen Bedeutungen der neuen Gegenstände verloren gegangen wäre.
Auf Reisen durch Frankreich und später durch Italien gewinnt Lutz Friedel die Möglichkeiten, das Licht als formbildendes Element einzusetzen. Etwa im Sinne von Georges de La Tour kommt es aus unbestimmter Quelle und schafft eigentlich alle Räumlichkeit, alle Plastizität. Damit einher geht die Entwicklung anthropomorpher Rundformen, plastisch-skulpturaler Gebilde, die Friedel der Natur absieht aber schließlich in Format und Wirkung umdeutet. Heuhaufen, Früchte, Muscheln, Steine, Krater, Birkenstämme, Spargelstangen oder Totenschädel – alles dies sind in Friedels Malersicht zuerst plastische Ereignisse, die ihre Volumen in der Zweidimensionalität des Tafelbildes jeglichen Formates zu behaupten haben. Es scheint, als wolle er sich der Binnenformen vergewissern, die er in teils bedrängende Monumentalität hineinsteigert, um sie dann – später – im Gesamtentwurf der gesehen Landschaft auflösen zu können. Von hier aus geschehen auch die Übergänge ins Architektonische: schwellende, ausgreifende Rundformen auch hier: Stadien, Arenen, Brückenbögen und Babeltürme. Man könnte diese Verfahren als eine eigene malerische Archäologie bezeichnen. Der einzelne Gegenstand, mag er auch aus der Beobachtung für das Bild gewonnen sein, erfährt eine genaue Prüfung seiner Qualität als Zeichen: sowohl für einen Zustand der Welt, der er entnommen ist als auch seiner ganz individuellen Bedeutung für den Künstler selbst. Und diese Prüfung geschieht nicht durch die Einbindung in einen ästhetisch konstruierten Sinnzusammenhang sondern ganz im Gegenteil: ein solcher stellt sich durch sie überhaupt erst her. Das Mittel dazu ist vornehmlich die Farbe, dann erst die Verfremdung durch die Dimension, in der sie die Gegenstände ins Bild setzt.
Früher trugen die Bilder assoziationslenkende Titel wie „Sintflut“ oder „Ehemaliges Gelände“, da waren sie noch im Kontext deutscher Erfahrung zu lesen, als schwere, dunkle Beschwörungen vergangener Katastrophen und Ahnungen von Kommendem.
In dieser Phase hat Lutz Friedel die leise ironischen Untertöne seiner Arbeit nahezu ausgeblendet, erst mit den Totentänzen treten sie in unterschiedlichen Nuancen wieder hinzu.
Friedel schrieb damals: „Das zwanzigste Jahrhundert hat alle Grenzen des Denkbaren und des Machbaren in der Kunst gesprengt; es gibt keine Grenzen mehr und keine lineare Entwicklung. Auch keine Tabus. Der Kunstbegriff ist zerfasert und hat seine Bedeutung eingebüßt. Ich glaube auch nicht, dass es sinnvoll ist, ihn immer wieder neu zu definieren. Viel mehr zählt die Ernsthaftigkeit, mit der ein Künstler seine Sache betreibt und vertritt.“
An Ernsthaftigkeit hat es ihm nie gefehlt. Seit zwei Jahrzehnten arbeitet Lutz Friedel neben der Malerei an einer nicht endenden Reihe von Kopf – Skulpturen aus Holz in unterschiedlichen, meist weit überlebensgroßen Formaten. Man könnte sie in den weiteren Zusammenhang der sogenannten „Maler – Plastik“ stellen, wie sie im 20. Jahrhundert durch Matisse, Degas, Picasso und andere bis hin zu Baselitz und Penck geschaffen wurde. Die unakademische, auf Oberfläche und Licht bezogene Ausdrucksform würde darauf hinweisen. Doch sind Lutz Friedels Skulpturen zwar nach des Künstlers eigener Aussage „dilettantisch“ im positiven Sinne von Spontaneität und Erregtheit des Machens – aber sie sind ganz im Sinne plastischer Räumlichkeit gedacht. Ihre physiognomische Individualisierung, wenn wir von einer solchen sprechen können, folgt dem Maß des Materials und der möglichen Tiefe der Dimension. Friedels Köpfe haben weder mit den furiosen Ausdrucksgesten von Baselitz noch mit der hölzern lapidaren Alltäglichkeit von Balkenhol zu tun. Ihre Individualität ist eine im Arbeitsprozess gezogene Summe einzelner Beobachtungen, die sich jeder charakterologischen Festlegung entzieht. Das macht ihr Geheimnis aus: Wir wissen nicht, mit wem wir es zu tun haben, obwohl wir jeden von ihnen zu kennen glauben. Wie die Köpfe von Marionetten, die nach dem Maß eines außer ihnen existierenden Prinzips ihr Leben gewinnen, nehmen sie unsere Projektionen von Idee und Ausdruck in sich auf und werfen sie gleichsam zurück. Als Selbstreflexionen des Künstlers sind sie letztlich Abbilder und Metaphern zugleich. In ihrer Summe stehen sie für die condition humaine dieser Zeit, die zwischen individuellem Lebensentwurf und Nivellierung in der Masse nicht mehr zu unterscheiden weiß. Und genau das ist auch das Subthema der Totentänze: Der Tod betrifft alle und alles, den Einzelnen wie die Gemeinschaft.